Bildung ist gut. Bildung ist wichtig. Darüber sind sich die meisten einig. Vor allem, seitdem die Welt von einem Tsunami der Idiotie überrollt worden zu sein scheint. Worte sinnvoll und mit Bedacht aneinander reihen zu können, das mutet in diesen Tagen des Geschreis und Gebrülls geradezu wie ein Ausnahmetalent an. Nur einer von vielen Gründen, warum Büchereien nicht sterben dürfen!
Meine Familie hatte nie übermäßig viel Geld. Wir hatten alles, was wir brauchten, Gott sei Dank, aber gewisse Güter waren eben immer mit den Preisschildern „Ausnahme“ oder „Luxus“ versehen. Dies galt vor allem für Dinge, die die Freizeitgestaltung betrafen – Sportverein, Tanzstunden, Markenkleidung. Zu seinem zehnten Geburtstag wünschte sich mein kleiner Bruder mal explizit „eine Jeans, die nicht von Aldi ist.“ Und auch Bücher gab es meistens nur zum Geburtstag oder zu Weihnachten.
Eine Mitgliedschaft in der Bücherei kostete damals aber nur einmalig zwei Mark. Dafür bekam man eine Ausleihkarte und durfte so viele Bücher und Hörspielkassetten ausleihen, wie man wollte. Ich war im Himmel. Und verbrachte fortan jeden Samstag in der Gladbecker Stadtbücherei. Jede Woche fuhr ich ein ganzes Fahrradkörbchen voll Bücher mit nach Hause, die ich dann in der Woche darauf wieder eintauschte. Ich las alles. Wirklich alles. Pferde- und Mädchenbücher, Klassiker und Comics. Weil es ging. Weil ich einfach alles in mein Körbchen packen, zur Ausleihe tragen und mitnehmen konnte, unter der einzigen Bedingung, dass ich die Sachen zum eingestempelten Termin wieder zurück brachte.
Aber der uneingeschränkte Zugang zu Büchern und Geschichten war nicht der einzige Grund, warum die Stadtbücherei meine gesamte Kindheit und Jugend über mein Lieblingsort war. Es war ein Ort, an dem man einfach sein konnte. Da herrschte Stille, man konnte in Ecken und Winkeln sitzen, blättern, Menschen beobachten, Spiele spielen oder stundenlang Hörspiele hören. Ich hatte mich in der Schule nie besonders wohl gefühlt, zu laut, zu langweilig, zu viele Leute. In der Bücherei konnte ich mich konzentrieren.
Da gab es Leute, die mir etwas über Bücher erzählten, da gab es ein kommunales Kino mit Filmen, die man sonst nirgendwo im Ruhrgebiet zu sehen bekam, da gab es Vorlesestunden, da gab es immer spannende Menschen. Mit anderen Worten – da war immer was los, auch wenn man nicht so viel Geld zur Verfügung hatte.
Ich verdanke „meiner“ Stadtbücherei eine ganze Menge. Nicht zuletzt die Tatsache, dass ich aus dem Lesen und Schreiben inzwischen meinen Beruf gemacht habe. Vor allem aber, dass ich mich als Kind und Jugendliche weniger alleine gefühlt habe, dank all der Geschichten, die mir für nur einmalig 2 Mark zugänglich waren.
Im vergangenen Jahr habe ich in vielen Büchereien im ganzen Land gelesen, und jedesmal überkam mich dieses warme, liebevolle Gefühl, zu Hause zu sein. Dort gab es unzählige nette Gespräche mit Lesern und Bibliothekaren. Vor allem aber immer und allerorts die gleiche Klage: Die Stadtbüchereien kämpfen um ihre Existenz. Zu wenig Mittel, zu wenige Mitglieder, nicht genug Aufmerksamkeit von Bürgern und Politik.
In Frankenthal bei Mannheim, meiner letzten Lesung auf meiner Tour, versprach ich dann der Bibliotheksleiterin, ich würde bei Gelegenheit mal einen Liebesbrief an die Stadtbüchereien schreiben.
Der Gedanke, dass diese Orte der Geschichten und der Konzentration ganz allmählich verschwinden, ist grauenhaft. Dass Bibliotheken nur noch kalte Orte sind, an denen hauptsächlich Computer stehen, wo man sich nicht mehr umschauen, sich nicht mehr aufhalten kann oder möchte – wer kann das denn wollen oder gut finden? Für mich ist und bleibt die Bücherei nicht nur der Ort, an dem es Bücher und damit Wissen gibt – sondern auch ein Ort, an dem es still ist, wo Konzentration etwas Schönes ist, wo man leise sein muss und sich besinnen kann.
Und ja, das alles ist romantisch und konservativ und kulturpessimistisch. Ist mir aber egal. Wir alle sehen gerade, wo mangelnde Bildung – Herzens- UND Hirnbildung – hinführt. Und wir alle finden es schrecklich und erschreckend. Da kann es jedenfalls nicht schaden, sich an den Ort zu erinnern, der viel zur eigenen Herzens- und Hirnbildung beigetragen hat und sich zu fragen, was passiert, wenn es diese Orte irgendwann nicht mehr gibt.
In diesem Sinne möchte ich mich explizit bei allen Bibliothekaren bedanken, dass ihr die Fahnen hoch haltet, vor allem in kleinen Städten, wo es so wenig Angebot für Kinder und Jugendliche gibt, die aus nicht so ganz wohlhabenden Verhältnissen kommen. Und ich freue mich über jede Einladung in eine dieser Büchereien und komme immer sehr gern!
Liebe Rasha Khayat,
Auch aus dem Literaturbüro Ruhr e.V. einen herzlichen Dank FÜR DIESE SCHÖNE eRMUTIGUNG. Und natürlich auch für Lesung & gespräch während unseres Projektes „Ausgebootet“ im letzten Herbst.
http://www.ausgebootet.eu/9-Rasha-Khayat-Larissa-Bender/
Beste Grüße
Gerd Herholz
Ich habe mich zu bedanken! Es war wirklich ein schöner Abend, dieses ganz besondere Heimspiel 🙂 Ich habe mich wahnsinnig über die Einladung gefreut und freue mich schon auf ein Wiedersehen!
Liebe Rasha, mir ging es ganz genauso als Kind und in meiner Jugend. Mindestens einmal die Woche zur Bücherei und Nachschub holen. Und zeit in der Bücherei zu verbringen und in die Bücher reinlesen und gucken was es Alles neues gibt… Leider bin ich heutzutage viel zu selten in büchereien. Sollte ich mal wieder hingehen. Dein Text ruft auf jeden Fall schöne Erinnerungen wach!
Liebe Nada, schön, dass der Text Erinnerungen wach gerufen hat 🙂 Und ja, man sollte viel mehr Zeit in Büchereien verbringen. Vor allem in Zeiten wie diesen. Da kann man den Trost von guten Büchern wirklich brauchen. Viele Grüße und Danke für dein Interesse!
Auch ich bin ein kind der GLADBECKER Stadtbücherei. Ich habe Das Stöbern Geliebt – Das Stöbern Nach Büchern, die man noch nicht Kennt. Das Stöbern, Das kein Computer und kein Amazon Ersetzen Kann. Ich Glaube, Dass Gerade die Bücherei in Gladbeck ein Ganz Besonderer Ort Ist. Natürlich sind generell Büchereien tolle und wichtige Orte, aber die in Gladbeck lebt Von Ihren Engagierten Mitarbeitern und den Tollen Ideen rund um das Lesen (ich war schon als Kleinkind beim „BILDERBUCHKINO“, dann bei meiner ersten LESUNG – Paul Maar, und Später hab ich American Pie im KOKI Gesehen). Und heute Sitzt meine Familie immernoch oft Im Lese Café – mit mir und meinem Kind, wenn ich zu Besuch in Gladbeck bin.
Ich danke dir Für die Idee und Der Wundervollen Umsetzung, dieser Institution mal Den Tribut zu Zollen, Den Sie Verdient!
Sehr geehrte Frau Khayat,
HERZLICHEN dANK FÜR DIESEN WUNDERBAREN lIEBESBRIEF FÜR sTADTBÜCHEREIEN: wIR SIND ENGAGIERTE bÜRGERINNEN UND bÜRGER IN kREFELD-uERDINGEN, DIE SEIT 200 Wochen Montagslesungen vor unserer geschlossenen Zweigstelle der Bücherei organisieren. Wir wünschen uns, dass in dem denkmalgeschützten städtischen Gebäude ein Quartierszentrum mit städtischer Medienausleihe öffnet. Würden Sie uns mit einer Lesung unterstützen? Dürfen wir den Liebesbrief auf unserer Internetseite verlinken?
Herzlichen Dank für eine Antwort.
Lesefreudige Grüße
Susanne Tyll
Liebe Frau Tyll, ich habe Ihnen soeben eine Mail geschickt 🙂
Herzlich.
Rasha Khayat