Nach meiner etwas melancholischen Präambel nun aber mal wirklich zu dem, was wir gesehen und erlebt haben in den letzten 2 Wochen.

Der Faible der Saudis für alles, was einfach mal ein bisschen größer ist als normal, ist nichts Neues für uns. Eine ganz eigene Dimension nimmt das Ganze allerdings an, wenn es um’s Home Entertainment geht. Soundsysteme, Bildschirme und Leinwände, die mein kleines, liebstes Programmkino aussehen lassen wie das Wohnzimmer meiner Oma anno 1985.

ein ganz normaler Fernseher

Wie mein Cousin halb philosophisch, halb ironisch sagte: „Wir in Saudi Arabien sehen alles eben gern besonders groß, weil wir sonst gar nichts sehen.“

Homekino Arabstyle

Das stimmt wahrscheinlich auch irgendwie. In einem Land, wo es weder Kinos noch Nachtclubs gibt, muss sich der geneigte Amüsierwillige seine Unterhaltung bestmöglich in den eigenen vier Wänden einrichten.

Die Tatsache übrigens, dass ich zu Hause seit mehr als vier Jahren gar keinen Fernseher mehr besitze, hat unter den Menschen eine Mischung aus Erstaunen und Mitleid hervor gerufen. „Wieso denn nicht? Willst du dir nicht hier einen kaufen? Wir schicken dir den auch!“ — Ich hab dann versucht, das Konzept von Jungle Camp und Topmodel zu erklären, und dass ich mir dafür keine Leinwand in meine Miniwohnung stelle. Aber darauf bekam ich nur zu hören: „Oh, America’s Next Topmodel, das gucken wir auch immer.“ … Nun denn …

Auch ansonsten kann man sich vor allem in Jeddah sicher nicht über Mangel an irgendetwas beklagen. Kein technisches Gerät, kein Lebensmittel (naja, vielleicht außer Alkohol und Schweineschnitzel), kein Konsumgut, das für Geld zu haben ist, fehlt in den Läden und Shopping Malls. Jede Fast- oder Slowfood-Kette der Welt, von Burger King über Chili’s bis Starbucks und Soy Lounge lässt sich finden – viele von denen habe ich in Europa noch nirgendwo gesehen.

Die Fragen von Bekannten, ob man denn dieses oder jenes dort überhaupt bekäme, ob die Leute auch schon mal Corn Flakes gegessen hätten oder ob ich denn mein Shampoo von dm dort bräuchte, kann ich also nur weglachen. Nicht nur, dass es alles zu kaufen gibt – nein, es gibt auch absurd große Portionen und Mengen  zu kaufen.

Nutella XXL

Genauso absurd waren unsere eigenen Bemühungen, irgendetwas  in Deutschland zu finden, das wir als Gastgeschenke für die Familie mitbringen könnten. Die Berge von Haribo und Ostersüßigkeiten, die wir für die Kinder im Koffer hatten, wurden höflich angenommen, kamen mir aber bei der Übergabe schon selbst dämlich vor. Was kann man Leuten schon schenken, die alles haben …

Lediglich die Überraschungseier waren der Hit bei den Kids. Spannung, Spiel und Schokolade sind dann eben doch international …

Was die Übersättigung der Gesellschaft an Dingen und Gütern angeht, darauf wird demnächst dann noch mal zurück zu kommen sein … Kann man sich ja vorstellen, dass so ein Überfluss nicht spurlos an Menschen vorübergeht …

Aber dazu dann morgen.

Reisen zwischen Deutschland und Saudi Arabien ist jedes Mal, wie aus einem Raum-Zeit-Kontinuum zu fallen.

Ich kann mir kaum zwei unterschiedlichere, zwei gegensätzlichere Welten vorstellen. Umso schwieriger ist es für mich, den Kopf und die Seele wieder zu sortieren – gehöre ich doch in beide Welten und fühle mich ganz fest in beiden verankert. Das ist nicht immer leicht und mein Kopf und mein Herz laufen mach nunmehr zehn Tagen im XXL-Land über vor Geschichten und Emotionen, die in all ihrem Widerspruch, ihrer Liebe und Intensität nur schwer zu fassen oder gar zu erzählen sind.

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Saudi Arabien, das Land, das 1001 Fragen aufwirft, über die Menschen, die Religion, die Politik, die Gesellschaft.

„Du hast doch da gelebt, was sagt denn deine Familie dazu, dass Frauen gesteinigt werden? Arbeiten deine Cousinen alle? Haben deine Onkel Ölquellen?“ – nur eine kleine Auswahl der Dinge, die ich ständig gefragt werde.

Ich verspreche, ich werde dazu hier auch noch Einiges sagen, und wer bestimmte Fragen hat – schreibt mir! Aber zunächst mal sei gesagt – Jeddah ist für mich in erster Linie Familie, zweites Zuhause, Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin und die ich oft vermisse. Jeddah sind verrückte Bilder und Geschichten, eine wunderschöne Stadt, die absurderweise kaum jemand je zu sehen bekommt, das sind Vorurteile, die manchmal doch sehr weit weg sind von der Wahrheit.

In Hamburg lebe ich allein in einer kleinen Zweizimmerwohnung, meine kleine Familie verteilt sich über ganz Deutschland, wir sehen uns höchstens 3-4 Mal im Jahr. Ich arbeite freiberuflich und lebe alles andere als in Saus und Braus.

In Jeddah besteht der engste Familienkreis dann plötzlich aus mindestens 35 Leuten, verbringt Wochenenden mit 20 Leuten am Meer, fährt teure Autos, shoppt in glitzernden Malls, jeden Abend sitzt man bei jemand anderem im Wohnzimmer, raucht bis Spätnachts Shisha und wird mit dem besten Essen, das man sich vorstellen kann, gefüttert und fühlt sich aufgehoben und dazugehörig, auch wenn man manchmal Jahre nicht dabei war.

Ich vollziehe diesen Spagat seit 35 Jahren, und bei jeder Reise fällt es mir schwerer, den Ausgleich in mir wieder herzustellen.

Flugroute

Deshalb will ich hier versuchen, zu teilen und zu erzählen, von dieser für viele so fremden, weiten Welt, die Teil ist von mir. Und die ich trotz und mit all ihren Absurditäten, Seltsamkeiten, Schwierigkeiten und scheinbaren Dissonanzen von Herzen liebe.

Meine Oma hat immer gesagt: „Wenn einer eine Reise tut, hat er was zu erzählen.“ Ein Spruch, der nicht treffender sein könnte, wenn es um unsere Familienreisen nach Saudi Arabien geht.

Im Jahr 2010 zum Beispiel waren wir für eine Nacht in Kairo gestrandet, weil man uns im Transit nicht weiter reisen lassen wollte wegen eines angeblich falschen Visums. Beim Besuch 2007 wurden wir (drei Leute) von nicht weniger als 5 Autos mit insgesamt 9 Verwandten abgeholt.

Kurz: Nach Saudi Arabien reisen ist jedes Mal ein wahnsinniges Abenteuer, dessen Ausmaß und Ausgang man vorher nie absehen kann.

Nun also mal wieder der Plan, in diesem Jahr die Familie in Jeddah zu besuchen. Das Abenteuer beginnt für uns schon immer mit der Visabeschaffung. Da wir mit deutschen Pässen reisen, braucht es eine offizielle Einladung durch die Familie vor Ort, eine Genehmigung des saudischen Außenministeriums und noch 1 Million anderer Papiere, bis einmal ein Visum ausgestellt werden kann. Bisher konnte all das per Post zum Konsulat nach Berlin erledigt werden – nervig, viele Briefmarken, aber am Ende ja auch kein Problem.

Seit 2013 nunmehr, erfahren wir von der Homepage der saudischen Botschaft, kümmert sich eine eigene Agentur ausschließlich um Saudi Arabiens Visaangelegenheiten. Nicht genug all die Emails, Papiere, Fotos, Einladungen, nein, nun braucht es auch noch einen so genannten Verwandtschaftsnachweis, der uns als Nichten und Neffen unseres Onkels, der uns einlädt, identifiziert. Und – als Sahnehäubchen muss jeder einzelne Visaanwärter persönlich im Büro der Agentur vorsprechen, um dort seine biometrischen Daten abzugeben.

Dazu sei gesagt, dass unsere kleine Reisegruppe schön verstreut in der Republik lebt und man ja nun erstmal einen gemeinsamen Termin finden muss, an dem alle gemeinsam einen Tag frei nehmen und nach Frankfurt pilgern können, um dort einen Fingerabdruck abzugeben.

Naja, andere Familien machen Ausflüge in den Zoo oder ins Phantasialand, wir fahren nach Frankfurt in die saudische Visaagentur.

Die Sicherheitsvorschriften für die Agentur kann man auf der Seite nachlesen – keine elektronischen Geräte, keine Taschen oder Koffer, lediglich die beizubringenden Dokumente sind in einer Plastiktüte (NICHT Jutebeutel!) mitzubringen. Die Saudis wieder, bloß nix Umweltfreundliches tun…

Als gute und regelkonforme Deutsche packen wir also unsere Unterlagen in eine durchsichtige Plastiktüte, schließen unsere Taschen, Handys und Jacken im Auto ein und suchen das Büro auf der Frankfurter Gutleutstraße (schön, dass man gerade DORT das Visum zur Achse des Bösen beantragen muss… Humor haben sie ja, die Arabistaner …)

Auf der Seite war auch zu lesen, dass die Sicherheitsdetektoren vor Ort unbedenklich seien für Menschen mit Herzschrittmachern. Vor Ort wird mir auch klar, warum – es gibt nämlich gar keine Sicherheitsdetektoren dort. Überhaupt sind wir alles etwas enttäuscht. Wir haben Alcatraz oder zumindest einen russischen Gulag erwartet, treffen aber nur auf die etwas sauberere, hübschere Variante eines kleinstädtischen Arbeitsamtes. Andere Kunden sitzen auch mit Rollkoffern, Rucksäcken und Mänteln im Foyer. Außer uns hat niemand eine Plastiktüte dabei …

Wir werden einfach eingelassen, am Empfang prüft ein netter Ägypter (Die Saudis … sogar im Ausland wird die hergebrachte … äh… sagen wir, ARBEITERpolitik weiter betrieben …) unsere Unterlagen und wir werden zum Counter durchgewunken. Alle sind freundlich, alle sind nett, zum Sonderpreis von 300 Euro und 30 Cent gibt es 3 Visa, Papiere werden unterschrieben und der Vorgang scheint zum Ende zu kommen.

Auf meine Nachfrage, wann denn unsere Fingerabdrücke genommen werden, sagt der gute Angestellte doch tatsächlich: „Am Flughafen in Jeddah.“

Wie bitte?? Und warum musste wir dann alle drei aus Bonn, Hamburg und dem Ruhrpott extra persönlich nach Frankfurt anreisen??

„Ach, ab 2015 wollen wir das hier im Büro machen, den Raum gibt es schon, wir haben aber die Maschinen noch nicht. Wir wollen nur schon mal üben und die Leute daran gewöhnen, dass sie hierher kommen.“ ….. So sind sie, die Saudis … Bürokratie ist, wenn man trotz Plastiktüte lacht.

Einen Trost gibt es aber doch. Das System gilt für alle. Kurz bevor wir an den Counter gebeten werden, verlässt ein leicht untersetzter, bebrillter Mann die Agentur. Im Vorbeigehen wünscht er uns noch einen schönen Tag. Meine Mutter: „Den kenn ich, ich glaub, der hat mal bei uns gearbeitet.“ Ich darauf: „Mama, das war Roland Koch.“

Mein Bruder und ich haben ihn übrigens aus Protest nicht zurück gegrüßt. Vielleicht treffen wir uns ja im Flugzeug nach Saudi Arabien wieder.

Wer wissen möchte, wie es mit der Reise nächste Woche weiter geht und was wir vor Ort alles erleben, bleibt hier dabei und schaut uns auf Instagram zu. Enjoy!

 

 

West-östliche Diva